Das TARNWERK

 
 

Am 10. Mai 1940, 0535h begann der deutsche Angriff im Westen ("Fall Gelb"), unter Verletzung der Neutralität der Niederlande, Belgiens und Luxemburgs. Hitler befand sich zu diesem Zeitpunkt im Führerhauptquartier "Felsennest", einer Höhe in Rodert bei Münstereifel, um von dort den Westfeldzug zu leiten. Der unerwartete Vorstoß der deutschen Panzer durch die für "unpassierbar" gehaltenen Ardennen, führte maßgeblich zu dem später eintretenden Zusammenbruch der gegnerischen Kräfte. Mit den Waffenstillstandsverhandlungen am 22. Juni 1940 in Compiegne, errang Hitler einen triumphalen Erfolg im Westen. Die deutschen Verluste betrugen insgesamt rund 27.000 Tote, 111.000 Verwundete und 18.000 Vermißte.

Am 15. Juli 1937 wurde im Ratssaal der Kleinstadt Salzgitter, zum Zwecke der Förderung und Verhüttung deutscher Eisenerze, die Reichswerke AG für Erzbergbau und Eisenhütten "Hermann Göring" gegründet. Die Planung sah ein Hüttenwerk für 32 Hochöfen in 4 Ausbaustufen vor, einschließlich Erzaufbereitungsanlagen, Kokerei, Stahl- und Walzwerk, Gießerei, Kraftwerk und Nebenanlagen. Nach vollständigem Ausbau sollte so eine Leistung von vier Millionen Tonnen Roheisen jährlich erreicht werden. Zwei Jahre später, am 22. Oktober 1939, waren die Arbeiten soweit voran geschritten, daß der erste Hochofenabstich erfolgen konnte. Die Hochöfen 5 und 6 wurden am 03. Juni 1940 angeblasen, damit standen alle vier auf der Sektionalseite befindlichen Hochöfen in Betrieb. Das Tagessoll von 400-500 t Roheisen wurde aber nicht erreicht, da ab Mitte Juni Einschränkungen aus Luftschutzgründen bestanden und der Anlauf der Erzvorbereitung erst im September 1940 beginnen sollte.

Der Luftkrieg hatte bis zum 10. Mai 1940 in Westeuropa eine große Zurückhaltung erfahren, seine Durchführung bezog sich hauptsächlich auf militärische Ziele. In der Nacht vom 09./10. Mai fand ein Bombenangriff auf die "Deutsche Gasolin", ein Werk der Mineralölindustrie, in Emmerich statt. Es gab einige Tote, da seit Kriegsbeginn keine Flugabwehr vorhanden war, die Anlage blieb aber unbeschädigt. Seit dem 08. Mai hatte das Britische Luftfahrtministerium vom Kriegskabinett für den Fall eines deutschen Vormarsches freie Hand für Luftangriffe auf Verschiebebahnhöfe, Öllager und Kraftwerke erhalten. Die Franzosen hatten am 22.04.1940 in London für diesen Fall ihre Zustimmung gegeben. Weitere alliierte Luftangriffe richteten sich am 10.05.1940 gegen die vorgehenden deutschen Truppen und die wirtschaftlichen Zentren. In Oberhausen und Düsseldorf herrschte lebhaftes Flakfeuer, die Krupp-Werke in Essen erlebten einen schwachen Bombenangriff, der abgewehrt wurde, zwei Bomben fielen ins freie Gelände. In den nächsten Nächten bis zum 19.05.1940 erfolgten britische Luftangriffe über Westdeutschland bis nach Hannover.

Eine Auswertung der feindlichen Luftangriffe ergab, das als Ziele hauptsächlich Industriewerke, Bahnanlagen, Tanklager, usw. bombardiert wurden. Die Angriffsmethodik war fast immer gleich; zuerst wurden Leuchtbomben zur Erkundung abgeworfen, dann erfolgte der Angriff mit Spreng- und Brandbomben aus großer Höhe, selten im Tiefflug. Auffällig war, das auf jede beleuchtete Stelle Bombenwurf erfolgte. Die bis dahin erstellten Tarnanlagen und "Tarnfeuer" hatten sich ausgezeichnet bewährt. In den folgenden Wochen drangen die britischen Bomber immer tiefer in das Reichsgebiet ein. Seit Mitte Juni verging im Industriekomplex Wolfsburg - Braunschweig - Salzgitter keine Nacht, in der nicht Luftgefahr oder Fliegeralarm herrschte.

In der Nacht zum 18. 06.1940 wurde erstmals das VW-Werk bei Wolfsburg angegriffen, abgeworfen wurden 16 Spreng- und 41 Brandbomben, von denen neun Spreng- und 30 Brandbomben auf das Gelände des Werkes fielen. Einige Bomben waren auch auf die Ilseder Hütte bei Peine gefallen, es entstand aber kein Schaden. Ein weiterer Luftangriff erfolgte in der Nacht zum 22.06.1940 auf die Reichswerke "Hermann Göring" im Salzgittergebiet. An Kampfmitteln fielen vier Spreng- und fünf Brandbomben, zerstört wurden zwei Hochofengleise, außerdem erhielten die Wandungen des Gichtgasbehälters durch die Sprengstücke der Bomben 167 Durchschläge. Die Brandbomben ließen eine Baubude und einen Holzstapel in Flammen aufgehen.

Für den Kommandeur des Luftgaus XI in Hamburg, General der Flieger Wolff, bestanden infolge der häufigen Luftangriffe keine Zweifel, sich nicht nur auf die aktive Luftverteidigung zu stützen, sondern ganz erheblich den passiven Teil, den Bau von Scheinanlagen und Tarnungsarbeiten zu fördern. Daraufhin überprüfte das Luftgaukommando XI im Juni 1940 in seinem Bereich nochmals die Tarnung der Industriewerke. Bei besonders wichtigen Betrieben wurde angeordnet, die befohlene Tarnung in kürzester Zeit, zum Teil aus eigenen Mitteln, durchzuführen und Scheinanlagen anzulegen. In diesem Zusammenhang entstanden auch zunächst zwei Tarnwerke zum Schutz der Reichswerke "Hermann Göring" - die Tarnwerke Broistedt und und später Bodenstedt. Das Jahr 1942 hatte den Scheinanlagen beachtliche Erfolge gebracht, was zur Folge hatte, daß die Anzahl der Anlagen erheblich vermehrt wurde. Bis zum Frühjahr 1943 waren im Bereich des Luftgaukommando XI etwa 300 Scheinanlagen errichtet worden.

Für die Stadt Salzgitter brachte das Jahr 1942 nur den Abwurf von fünf Brandbomben am 24.08.1942 bei Haverlahwiese in Nähe der Bartelszeche und der Beamtensiedlung. Im Jahr 1943 wurden 60 feindliche Luftangriffe auf den Luftgaubereich durchgeführt. Die Anzahl der Sprengbombenabwürfe hatte sich gegenüber 1942 verfünffacht, die der Brandbombenabwürfe dagegen verzehnfacht. 1944 hatte sich die Zahl der Tageseinflüge gegenüber dem Vorjahr fast verzehnfacht, die Zahl der Nachteinflüge verdoppelte sich.
Auf den Luftgaubereich wurden allein 136 Angriffe mit viermotorigen Maschinen geflogen. Die Zahl der abgeworfenen Sprengbomben nahm auf über das Vierfache gegenüber dem Vorjahr zu, während die Zahl der abgeworfenen Brandbomben etwas zurückging. Braunschweig und Salzgitter ertrug 38 Luftangriffe, bei denen über 16.000 Sprengbomben und fast 45.000 Brandbomben abgeworfen wurden.

Für die Reichswerke entstanden östlich von Salder, vor der Heerter Kreuzung in der Feldmark und westlich von Lobmachtersen zwischen Großer Hai und Strauchholz, zwei weitere Scheinanlagen.

Am 08. Mai 1944 griffen amerikanische Bomber die Stadt Braunschweig und die Reichswerke im Salzgittergebiet an. Während im Raum Watenstedt - Immendorf 200 Sprengbomben von 500 - 1000 kg und mehrere 100 Benzolkautschukkanister bis zu 45 kg abgeworfen wurden, wobei 26 Personen getötet und 13 verletzt worden sind, fielen fünf Bombenteppiche in der Gegend von Alvesse - Üfingen - Sauingen. Bis in das Jahr 1944 waren im Luftgau XI auf oder in die Nähe von Scheinanlagen etwa 350.000 Bomben geworfen worden.


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Historischer Kontext

links oben: Bodenstedter Feldmark mit Tarnwerk 1945; rechts oben: heute; links unten: Werksgelände Salzgitter AG heute; rechts unten: Bildausschnitt

Quelle: Oertel U. et al in „Vergessene Welten - Die Scheinanlage bei Bodenstedt“, 2005