Das TARNWERK

 
 

Nördlich von Lengede in der Feldmark des Ortes Bodenstedt wurde auf ca. 50 ha seit Sommer 1941 ein zweites Tarnwerk errichtet, dass im Laufe des Jahres 1942 seinen Betrieb aufnahm. Betriebsgebäude, Werkshallen, Hochöfen, Kühltürme, Straßen und Werksbahnanlagen wurden repliziert.

Die umfangreichen Bauarbeiten hatte die Luftwaffe einer Baufirma übertragen, die mit französischen Kriegsgefangenen der "Kriegsgefangenen Bau- und Arbeitsbataillone III und IV" die Arbeiten ausführte. Der tägliche An- und Abtransport der Arbeiter fand per Lkw statt.

Als Baustoff wurde hauptsächlich Holz und Schilfrohr verwendet. Die Hochbauten setzte man aus Holzkonstruktionen zusammen, die Dachabdeckungen bestanden aus Schilfrohrmatten und Tarnmaterial; die Fenster wurden aufgemalt. Für die Bahnanlagen, einschließlich des Schienenmaterials, wurde ebenfalls Holz verwendet. Die aufgestellten Lokomotiven bestanden aus Schilfrohr und waren mit Farbe schwarz gespritzt. Wegen des nachwachsenden Untergrundes und zur Aufnahme der Aluminiumleitungen für den "Licht- und Feuerzauber", waren die nachgebildeten Straßen auf Pfähle gesetzt worden. Die elektrische Versorgung des Tarnwerks soll von Liedingen aus durchgeführt worden sein. Der Landwirt Lauenstein, der mit seinen Schafen das umzäunte Gelände des Tarnwerks betreten durfte, sorgte dafür, dass der Bewuchs kurz gehalten wurde. In einem Ring um das Tarnwerk wurden durch das Aufwerfen von Erdwällen Flakstellungen nachgeahmt, die mit schwarz gestrichenen Geschützattrappen aus Holz versehen wurden. Die Flakabwehr wurde durch pyrotechnische Mittel vorgetäuscht. Um die Illusion weiter zu vervollständigen, kamen noch 60 cm Scheinwerfer in den angelegten Flakstellungen zum Einsatz. Zur Störung der Leuchtzielmarkierungen ("Christbäume") der alliierten Pfadfindermaschinen hatte man Leuchtmittel entwickelt und zum Einsatz gebracht. Indem man sie mehrere Kilometer vor dem Schutzobjekt in die Einflugschneise setzte, erhoffte man sich eine Ablenkung des nachfolgenden Bomberstroms.

An der nordöstlichen Seite des Geländes stand eine Wohnbaracke zur Unterbringung der Mannschaft in unmittelbarer Nähe des Beobachtungs- und Schaltstandes, so dass eine zeitnahe Bedienung der Anlage bei Feindeinflügen möglich war. Da die erreichbare Schutzwirkung des Bauwerks in einem tragbaren Verhältnis zu dem provisorischen Charakter der Scheinanlage stehen musste, wurde auf eine bombensichere Bauweise verzichtet; die Typisierung als Bunker entfällt daher. Entsprechend der Funktion des Baus, errichtete man einen splittersicheren Beobachtungs- und Schaltstand, der die elektrischen Geräte für die Schaltung aufnahm und der Bedienungsmannschaft bei unmittelbaren Luftangriffen Schutz bot.

Als Ablenkung gegen die selteneren Tagangriffe konnte durch dampfende Lokomotiven, qualmende Schornsteine und Hochöfen ein aktives Hüttenwerk inszeniert werden. Das gleiche geschah bei Nacht durch die Nachbildung starker Feuererscheinungen der Hochöfen und eine schemenhafte Beleuchtung der ganzen Anlage. Bei Angriffen war man zusätzlich in der Lage, Brände und Bombeneinschläge vorzutäuschen. Bedient wurden sie von den Soldaten der Heimat-Flakbatterie 56/XI, die sich neben einem sehr kleinen militärischen Stamm der Luftwaffe aus den Bewohnern der umliegenden Dörfer rekrutierte.

Die Vielzahl der Beobachtungsöffnungen im Bauwerk ermöglichten der Besatzung eine Orientierung über die Wirkungsweise des Tarnwerks, der eigenen eingesetzten Mittel und der Feindbewegungen. Somit war eine Anpassung an die gegenwärtige Luftlage und eine effektive Steuerung des Tarnwerks gegeben. Die Notwendigkeit, durch die Beobachtungsscharten ein weites Sichtfeld in die verschiedenen Anlagenteile zu bekommen, erklärt die Hochlage des Baues. Um den Nachteil der oberirdischen Bauausführung und das frühzeitiges Erkennen und Ausschalten durch den Gegner zu erschweren, wurde mit Mitteln der Tarnung ein hölzerner Dachstuhl mit Ziegeln auf der Bauwerksdecke errichtet. So gewann man den Eindruck eines bestehenden Gebäudes. Außer dem Schaltstand waren zum Schutz für die Bedienungsmannschaft im Gelände des Tarnwerks mehrere erdversenkte Unterstände angelegt.

Das Tarnwerk Bodenstedt war bis zum bis zur Besetzung durch amerikanische Truppen am 10. April 1945 Ziel von Luftangriffen, obwohl die Alliierten eine intensive Luftaufklärung mit einer hochentwickelten Zielfotografie betrieben. Es wurde demnach nie als solches enttarnt. Nach der Besetzung begann dann der allgemeine Abbau des Tarnwerks. Das wiedergewonnene Holz sollte verkauft werden; es setzte aber eine Art "Selbstbedienung" ein, von der die Bevölkerung der umliegenden Dörfer in zunehmenden Maße erfaßt wurde. Holz, Elektrokabel und die technischen Einrichtungen der Anlage waren begehrte Objekte.

Der Beobachtungs- und Schaltstand wurde von englischen Pionieren im Sommer 1945 gesprengt. Die durch die Sprengwirkung herausgestoßenen Betonblöcke lagen einige Jahre in der Feldmark, bis sie 1948 abgefahren wurden. Bei der Errichtung der Friedhofskapelle und als Stallfundamente fanden sie in Bodenstedt Verwendung. Im nördlichen Bereich des Tarnwerks befindet sich heute ein Modellflugplatz, ansonsten besteht das Gelände überwiegend aus Ackerland. Die ruinösen Fundamente des Schaltstands sind einziges Zeugnis eines erfolgreichen Tarnwerkes.


zurück

 

Luftschutzmassnahmen der Reichswerke AG - Tarnwerk Bodenstedt

links oben: Bodenstedter Feldmark mit Tarnwerk 1945; rechts oben: heute; links unten: Werksgelände Salzgitter AG heute; rechts unten: Bildausschnitt

Quelle: Oertel U. et al in „Vergessene Welten - Die Scheinanlage bei Bodenstedt“, 2005