Das TARNWERK

 
 

Im April 2000 erlangte das Tarnwerk Bodenstedt neuerliche Aufmerksamkeit als südlich vom seinem ehemaligen Standort nahe der Landesstraße 472, der Verbindungsstraße zwischen Lengede und Klein Lafferde, durch die Auswertung alliierter Luftbilder ein Bombenblindgängerverdachtspunkt lokalisiert worden war. Der Verdachtspunkt wurde von einem Meßtrupp des Kampfmittelbeseitigungsdienstes eingemessen und mittels eines Metalldetektors überprüft. Danach begannen umfangreiche Sondierungsarbeiten, bis der Sprengkörper endlich freigelegt und identifiziert werden konnte. Im Erdreich befand sich in drei Meter Tiefe eine dünnwandige, zylinderförmige Minenbombe mit hochempfindlichen Aufschlagzündern.

Der "Blockbuster", wie die "British Bomb 4000 lb. H.C. (High Capacity)" mit einer Länge von 2,79 m, einem Durchmesser von 0,76 m und einem Gewicht von 1784 kg, neben "Badeofen" oder "Litfaßsäule" genannt wurde, stammte von einem der letzten Angriffe auf das Tarnwerk, den die Royal Air Force (RAF) am Donnerstag, dem 29. März 1945, mit 130 Lancaster-Bombern durchführte.

Bomben dieses Typs hinterlassen beim Aufschlag zwar kleine Bombentrichter bei geringer Splitterwirkung, imponieren aber durch die von den 1338 kg hochbrisanten Amatols freigesetzten Vernichtungskraft. Bei Detonation werden im Umkreis von 100 m alle Gebäude gewöhnlicher Bauart zerstört und bis 1000 m Türen und Fensterrahmen herausgerissen; Fensterscheiben zersplitterten bis zu 2000 m Entfernung. Zündet eine solche Bombe auf dem Dach eines Hauses, so deckt sie die benachbarten Häuser im Umkreis von 100 m ab. Selbst bei Straßentreffern zwischen hohen Häusern wird diese Wirkung bis zur zweiten Parallelstraße erreicht. Diese Eigenschaft machte die Bombe zu einem wertvollen Instrument des strategischen Bombenkrieges gegen die deutsche Zivilbevölkerung, das von Sir Arthur Harris, Oberbefehlshaber des britischen Bomberkommandos in den letzten Kriegsjahren eingesetzt wurde. Nach Zerstörung der Dächer in urbanen Bebauungen durch Bomben dieses Typs erfolgte der Abwurf von Brandbomben, die in den abgedeckten Häuser Feuer entfachten und so in den Straßenzügen wahre Feuerstürme auslösen konnten. Bomben mit Zeitzündern verhinderten auf perfide Weise den Einsatz von Löschmaßnahmen.
Das Ziel des Angriffs, bei dem dieser Blockbuster eingesetzt wurde war die Benzol-Destillation in der Kokerei der Reichswerke "Hermann Göring". Der Präzisionsangriff hatte keinen Erfolg, er verlor seine Wirkung maßgeblich durch die ablenkenden Maßnahmen des Tarnwerks bei Bodenstedt.

Die Bombe wurde letztlich vom niedersächsische Kampfmittelbeseitigungsdienst der Bezirksregierung Hannover am 18.04.2000 entschärft. Wegen der hohen Vernichtungskraft der Bombe mussten aus Sicherheitsgründen rund 8.000 Menschen ihre Wohnungen in den umliegenden Ortschaften zeitweise verlassen.


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Altlasten

links oben: Bodenstedter Feldmark mit Tarnwerk 1945; rechts oben: heute; links unten: Werksgelände Salzgitter AG heute; rechts unten: Bildausschnitt

© DER SPIEGEL, Hamburg 2004

Quelle: Oertel U. et al in „Vergessene Welten - Die Scheinanlage bei Bodenstedt“, 2005